Pressemeldung: 19. Workshop der SAG Baumstatik e.V.

Internationales Online-Event mit Rekordbeteiligung

 

25. März, 2021 – Die Pandemiesituation zwingt dazu, neue Wege zu gehen. So auch bei der Sachverständigen-Arbeitsgemeinschaft Baumstatik e.V., die ihren inzwischen 19. Workshop erstmals als Online-Veranstaltung ausrichtete. Und das neue Format erzielte gleich eine Rekordbeteiligung: Am 18. März 2021 fanden sich 99 Baumexperten aus 17 Ländern, verteilt über vier Kontinente, zu dem ganztägigen digitalen Event zusammen, um über die Interaktion von Bäumen und Wind zu diskutieren. Aktuelle Studien und Modelle für die dynamische Reaktion von Bäumen standen auf dem Programm, das die Teilnehmer simultan übersetzt in Deutsch und Englisch verfolgt konnten.

Für den großen Zuspruch waren sicher auch die hochkarätigen Referenten verantwortlich.

Den Start machte Damien Sellier, der beim New Zealand Forest Research Institute (Scion) forscht. Vom anderen Ende der Welt zugeschaltet, berichtete er über seine Ergebnisse zum Thema „Eigenfrequenz und Dämpfung von Baumschwingungen – Finite-Elemente-Modellierung und Entwicklung mit dem Baumalter“. Dabei betonte er den Einfluss der Masseverteilung auf das Schwingungsverhalten bei einem Waldbaum und konnte zeigen, dass im Bestand die Kollisionen der Kronen untereinander eine wichtige Rolle für die Dämpfung der widerregten Schwingungen spielen. Bei frei gewachsenen Bäumen muss dies von anderen Mechanismen geleistet werden. Mit zunehmendem Alter findet eine Verschiebung der Positionen im Baum statt, an denen unter Windeinwirkung die höchste Wahrscheinlichkeit eines Bruchversagens auftritt.

Anschließend ging es virtuell nach Singapur, wo Daniel Burcham, stellvertretender Direktor für städtische Bäume im National Parks Board Singapur, über die Veränderungen der dynamischen Eigenschaften der Bäume im natürlichen Wind nach Schnittmaßnahmen referierte. An den von ihm überwachten Bäumen konnte er eindeutig zeigen, dass ein Rückschnitt der Krone um nur etwa 10 % in der Höhe zu einer Reduktion der Windbelastung um 25 bis 35% führen kann. Wenn dies wirklich notwendig ist, ermöglicht eine solche Behandlung, angemessen auf einen signifikanten Festigkeitsverlust zu reagieren, zum Beispiel aufgrund schwerer Defekte, ohne die Physiologie des Baumes drastisch zu beeinflussen. Dieser Sachverhalt war bislang nur an sehr kleinen Bäumen und unter künstlichen Bedingungen gezeigt worden und wurde nun erstmals experimentell an ausgewachsenen Parkbäumen im natürlichen Wind nachgewiesen.

Toby Jackson aus Cambridge, Großbritannien, präsentierte danach seine Synthese von Daten aus aller Welt zu Bewegung von Bäumen im Wind. Anhand dieser Metastudie konnte er zeigen, dass Laubbäume bei einer bestimmten Windgeschwindigkeit im Sommer aufgrund ihres Laubes anfälliger für ein Versagen im Wind sind und sich ihre Eigenfrequenz nach den Grundsätzen eines klassischen Pendelmodells am besten einschätzen lässt. Das dynamische Verhalten von Nadelbäumen im Wald erwies sich als besonders gleichförmig, wobei sich in diesem Fall das Modell eines einseitig eingespannten Kragarmes besser eignet. Im Rahmen seiner Promotion hatte er ähnliche Studien wie Damien Sellier durchgeführt, wobei er seinen Finite-Elemente-Modellierungen aber die mit Hilfe von LiDAR-Scannern exakte vermessene Geometrie der Versuchsbäume zugrunde legen konnte.

Nach der Mittagspause stellte Nikolas Angelou, Forscher im Bereich Meteorologie und Fernerkundung in der Abteilung für Windenergie an der Technischen Universität Dänemark, die Ergebnisse von Ebba Dellwik, der leitenden Forscherin der Abteilung, sowie seiner eigenen Forschungen vor. Im Mittelpunkt ihres Experiments stand eine Eiche an der dänischen Küste, deren Interaktion mit dem natürlichen Wind unter Einsatz von Dehnungssensoren und Wind-LiDAR-Strömungsmessern exakt beschrieben werden konnte. Nikolas machte deutlich, wie Bäume vom Wind belastet werden und zugleich selbst einen messbaren Einfluss auf die Struktur des Windes haben. Veranschaulicht wird dies zum Beispiel anhand des gemessenen Abfalls der Windgeschwindigkeit zwischen der windzugewandten und der windabgewandten Seite des Baumes, der bis zu 90 % beträgt. Die Interaktion mit dem Wind verursachte eine Zone starker Turbulenz in den Randbereichen der Krone, die bei Strömungsmessungen im Lee des Baumes auftraten.

Den Abschluss bildete Dirk Schindler, Professor für Umweltmeteorologie an der Universität Freiburg, der völlig neue Ansätze zur Modellierung der Reaktion von Bäumen auf turbulente Windströmung aufzeigte. Bei der Auswertung von Messungen an stehenden Bäumen kamen sowohl Fourier- als auch Wavelet-Transformationen der dynamischen Interaktion zum Einsatz. Anhand seiner Ergebnisse wird gezeigt, dass die sog. Resonanzreaktion, d.h. das Aufschwingen eines Baumes durch eine passende Abfolge von Windböen, im Gegensatz zu vereinzelten Kommentaren aus der Branche sehr unwahrscheinlich ist. Damit machte er deutlich, wie dringend die bisherigen Ansätze der Modellierung überdacht und in eine neue Richtung gelenkt werden müssen.

Durch den Tag leitete der erste Vorsitzende der SAG Baumstatik, Andreas Detter vom Büro Brudi & Partner TreeConsult aus Gauting bei München, der zahlreiche Fragen aus dem Publikum an die Referenten übermitteln konnte. “Wir freuen uns sehr über den großen Zuspruch zu der Veranstaltung und die vielen positiven Rückmeldungen,” resümierte er. ”Auch wenn der persönliche Kontakt und Austausch sehr fehlen, ist es doch schön, Forscher und Experten aus aller Welt mit Hilfe der neu aus der Notwendigkeit geschaffenen technischen Möglichkeiten zusammenzubringen. Das wäre bei einer Präsenzveranstaltung so nicht möglich gewesen.” Zwar blieb das obligatorische Gruppenfoto aller Teilnehmer des SAG Jahrestreffen dieses Mal aus, aber dafür konnten die Zuschauer rund um den Globus viele neue, informative Erkenntnisse mitnehmen. Auch die simultane Übersetzung der Vorträge ins Deutsche war ein echtes Plus gegenüber den bisherigen achtzehn Workshops der SAG Baumstatik, die in der Regel konsekutiv übersetzt wurden. Daher plant der Verein, künftige Seminare als sogenannte Hybrid-Events auszurichten, so dass sich Referenten und Teilnehmer digital zu einer Präsenz-Veranstaltung im kleinen Kreis dazu schalten können. Nach Möglichkeit soll noch im laufenden Jahr ein weiterer Workshop der SAG Baumstatik stattfinden. Informationen hierzu sind auch in Zukunft auf der Website www.sag-baumstatik.org zu finden.

 

Anlage: Bilder (Verweis auf die Autoren und vorige Freigabe erforderlich)

PM_19SAGWorkshop_DE_2021-03-31-2